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BIRD im Interview

Unsere Fragen beantwortete Prof. Dr. Ulrike Lucke, Professorin für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen an der Universität Potsdam und Verbundkoordinatorin für das Projekt BIRD.

Aktuell befinden sich rund 40 Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der zweijährigen Umsetzungsphase. Die Projekte entwickeln untereinander kompatible Lern- und Lehrangebote für das Ökosystem von "Mein Bildungsraum" als Vernetzungsinfrastruktur für Bildung. Was sind ihre Ziele und welche Herausforderungen haben sie auf dem Weg dorthin zu bewältigen? Wir haben für Sie bei den Projekten nachgefragt.

Was ist der Mehrwert Ihres Projektes?

Prof. Dr. Ulrike Lucke: Als Forschungsprojekt hat BIRD das Ziel, die Anforderungen an eine Vernetzungsinfrastruktur für Bildung zu untersuchen, dafür zentrale Funktionen und Komponenten zu konzipieren und begleitend auch Aspekte jenseits der technischen Entwicklung empirisch in den Blick zu nehmen. Was ist das Besondere dabei? Das ist zum einen die schiere Größe: der Anspruch, eine nationale Vernetzungsinfrastruktur für vielfältige Lernpfade entlang aller Bildungsbereiche zu gestalten, resultiert in einer komplexen Projektstruktur. Zum anderen ist es auch die sehr enge Zusammenarbeit mit dem Projektbüro und den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beauftragten Entwicklungsteams, die von Idee über Prototyp und Erprobung bis hin zum Produkt läuft. 

Seit wann gibt es BIRD und wie haben Sie gestartet?

Prof.  Dr. Ulrike Lucke: Das Projekt BIRD startete am 01.04.2021 mit der Aufgabe, einen Prototyp für eine föderierte IT-Infrastruktur im Bildungsbereich zu entwickeln. Die weiteren vom BMBF geförderten, Projekte, die digitale Bildungsangebote für Lernende und Lehrende entwickelten, sollten über diesen Prototypen vernetzt werden. So konnten wir wechselseitig die geforderte Interoperabilität prüfen – sowohl der Bildungsangebote untereinander als auch mit der Vernetzungsinfrastruktur – und ergänzende Anforderungen ableiten. Dieser Prozess war die Voraussetzung für uns und für die weiteren geförderten Projekte für eine zweite Förderphase von 2023 bis 2025. Für die Prototypenarbeit konnten wir auf umfassende Vorarbeiten der Universität Potsdam im Qualitätspakt Lehre zur Plattform “Campus.UP“ sowie auf Erfahrungen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes e.V. (DAAD) mit dessen Projekt ”Digitaler Campus” zurückgreifen.

Sie sind ein komplexes Verbundvorhaben mit neun Partnern – Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Prof.  Dr. Ulrike Lucke: Das BIRD-Team ist eine Kombination von hoch spezialisierten Projektpartnern, die die Breite und Vielfalt des Bildungssektors widerspiegeln, sowie eines agilen Projektmanagements. Die Projektpartner arbeiten in einer Matrixstruktur in verschiedenen Arbeitspakete zusammen, die jeweils von Product Ownern (Produkteigentümer, die ein bestimmtes Produkt verantworten) organisiert werden. Das betrifft nicht nur die technische Entwicklung, sondern auch die pädagogische Konzeption, die in den gleichen agilen Zyklen arbeitet. Die Outreach-Aktivitäten (Maßnahmen, um aktiv Menschen zu erreichen) und die Begleitforschung sind dagegen in flexibleren, in der Regel größeren Planungszyklen unterwegs. Die Größe und geographische Verteilung des Teams erzwingen eine umfassende Online-Arbeit, zu der auch digitale Unterstützung von Software-Entwurf, Dokumentation und Projektmanagement zählt. Hier nutzen wir teils die gleichen Umgebungen wie die Kolleginnen und Kollegen im Projektbüro und im Entwicklerteam von "Mein Bildungsraum", um den Transfer des aufgebauten Wissens zu befördern. Das Projektsetup trägt maßgeblich dazu bei, die Komplexität des Vorhabens herunter zu brechen. Genauso wichtig sind mir dabei auch gute, persönliche Kontakte. Uns nicht nur als Arbeitskräfte, sondern als Menschen zu begegnen, fördert Vertrauen und eine offene Kommunikation sowie den frühzeitigen und konstruktiven Umgang mit Fehlern. Zugleich trägt es auch über manch schwierige Phase der Projektarbeit hinweg.

Wie binden Sie die Fachgemeinschaft bei der Entwicklung des Prototyps mit ein?

Prof.  Dr. Ulrike Lucke: Der kontinuierliche fachliche Austausch mit Stakeholdern wird unter anderem anhand von Anforderungserhebungen, konkreten technischen Vernetzungen von Services, auf Fachveranstaltungen und ihm Rahmen von Fachgesprächen sowie Workshops sichergestellt. Gerade Mitte November hatte ich Gelegenheit bei einem Workshop, der die Vernetzung von Bildungsinhalten genauer unter die Lupe nahm, mit Fachkolleginnen und -kollegen aus verschiedenen Bildungssektoren in den offenen Austausch zu treten. Bemerkenswert fand ich, dass die Anforderungen sehr unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure an eine solche Infrastruktur oft unabhängig vom Bildungssektor waren. Natürlich haben wir auch außerhalb des formalen Workshop-Rahmens viele Gespräche geführt, beispielsweise mit Vertreterinnen und Vertretern des Handwerks, von Portalen für Offene Bildungsmaterialien (Open Educational Resources, OER), von Europäischen Hochschulnetzwerken, Hochschulverwaltungen, Schulorganisationen oder Weiterbildungsplattformen. Dabei wurden benachbarte Verwaltungsprozesse, wie die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen oder die Erteilung von Visa, beachtet. Themen wie Qualitätssicherung, Souveränität oder Datenschutz wurden immer berücksichtigt und diskutiert.

Was war Ihr bisher größtes Erfolgserlebnis?

Prof.  Dr. Ulrike Lucke: Im Juni sind wir auf dem EUNIS-Kongress, die Organisation für Informationssysteme europäischer Hochschulen, für den Lernpfadfinder – eine Kooperation von BIRD und dem Digitalen Campus – mit dem  Dørup E-Learning Award  ausgezeichnet worden. Vor wenigen Tagen haben wir die ersten Bildungs- und Lehr-Lernszenarien auf der Open Science Plattform Zenodo veröffentlicht und sind schon ganz gespannt auf Feedback. Und wenn ich einen Blick zurückwerfe, war die BIRD-Live-Demonstration für Abgeordnete der Regierungsfraktionen im Bundestag im Mai 2022 besonders aufregend und ergiebig. Die regen Diskussionen drehten sich um Grundfragen der digitalen Bildung und ihrer didaktisch-pädagogischen Prämissen und nicht um Technik als Ermöglichungsstruktur. Das hat in mir das erleichterte Gefühl hinterlassen, dass die Bundespolitik Verantwortung für eine gezielte Digitalisierung in der Bildung zur Verbesserung des Zugangs, der Teilhabe und des Lernens selbst übernimmt.

Was planen Sie für die Zukunft? 

Prof.  Dr. Ulrike Lucke: Wir haben noch ein Jahr BIRD als Experimentierlabor für “Mein Bildungsraum” vor uns. In dieser Zeit werden wir weiterhin Stück für Stück Funktionalitäten für die Vernetzungsinfrastruktur konzipieren, entwickeln und erproben – um sie dann an “Mein Bildungsraum” übergeben zu können. Großes Augenmerk liegt auch auf den begleitend durchgeführten wissenschaftlichen Studien, beispielsweise zum Thema Governance. Die dort generierten Erkenntnisse sind wie Wogen, die das Projekt in die Zukunft tragen – denn sie sind dauerhafter als es eine technische Entwicklung sein kann. Um dabei auf Kurs zu bleiben, werden wir auch weiterhin das wirkungsorientierte Monitoring verfolgen. Darüber hinaus arbeiten wir im BIRD-Projekt an einem Buddy-Finder, für den wir Anforderungen von Datenschutz und Souveränität mit bestmöglicher Unterstützung der Kooperation verbinden wollen. Die Aufgabe von BIRD als Experimentierlabor ist dann erfüllt, wenn “Mein Bildungsraum” als Vernetzungsinfrastruktur für den Bildungsbereich aufgebaut und eine tragfähige Betreiberstruktur etabliert ist. 

Was ist Ihr größter Wunsch an einen digitalen Bildungsraum?

Prof.  Dr. Ulrike Lucke: Unser größter Wunsch besteht darin, die Vernetzung von Werkzeugen, Inhalten und schließlich Menschen so voranzutreiben, dass kollaboratives Arbeiten, formelles und informelles Lernen sowie selbstbestimmte Teilhabe an Wissen, Bildung und Gesellschaft befördert werden. Dabei soll es nicht um eine deutsche Insellösung gehen. Die Ansätze müssen dazu beitragen, Bildungssysteme in Europa und weltweit nachhaltig anschlussfähig zu vernetzen. Globale Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam lösen.