Unsere Fragen beantwortete Veronika Christodoulides, Expertin für digitales Lernen bei der Ghostthinker GmbH und Projektmanagerin für SolVing2.
Aktuell befinden sich rund 40 Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der zweijährigen Umsetzungsphase. Die Projekte entwickeln untereinander kompatible Lern- und Lehrangebote für das Ökosystem von “Mein Bildungsraum“ als Vernetzungsinfrastruktur für Bildung. Was sind ihre Ziele und welche Herausforderungen haben sie auf dem Weg dorthin zu bewältigen? Wir haben für Sie bei den Projekten nachgefragt.
Veronika Christodoulides: Video ist das Lern- aber auch Kommunikationsmedium der Zukunft. Darauf konzentrieren wir uns im Projekt SolVing2. Mit SolVing2 möchten wir „Social Video“ auf „Mein Bildungsraum“ ermöglichen. Was bedeutet das? „Social Video“ kombiniert die Vorteile von Videos mit denen des persönlichen, direkten Austausches. Videos sollen nicht mehr klassisch passiv von den Nutzenden angesehen werden, so wie wir das zum Beispiel aus dem Kino kennen. Stattdessen können Nutzende in unserem Videoplayer mittels menschlicher Annotationen Inhalte von Videos genau erfassen und relevante oder unklare Aspekte zeitmarkengenau mittels Text, Symbolen oder Zeichnungen im Video kommentieren. Ziel ist ein partizipatives, soziales und situiertes Lernen und Kommunizieren – „Social Video“ eben.
Um all das zu ermöglichen, haben wir die cloudbasierte Video-Plattform, den „Social Video Hub“, entwickelt. Natürlich haben wir diesen auch an alle gängigen deutschen Datenschutzanforderungen angepasst. Damit wird allen Nutzenden auf „Mein Bildungsraum“ ein innovatives Werkzeug für Analysen und Feedback geboten, das sich besonders gut dazu eignet, Handlungskompetenzen aufzubauen. Zusätzlich haben wir das „Social Video Board“ entwickelt, das den Player mit einem Video-Portfolio erweitert und das sich auch hervorragend für organisationsübergreifendes und lebensbegleitendes Lernen eignet.
Veronika Christodoulides: Mit Blick auf die verwendeten Technologien gibt es im Bildungsbereich eine sehr verstreute Lernlandschaft mit vielen unterschiedlichen Plattformen. Die Nutzenden brauchen deshalb einen Login für alle unterschiedlichen Systeme. Dieses Problem wird “Mein Bildungsraum” mit dem “Single-Sign-On” lösen, wodurch nur noch ein Login für alle Systeme notwendig ist. Wir haben darüber hinaus den „Social Video Hub“ so gebaut, dass er als alleinstehende Lösung funktioniert, aber auch problemlos in bestehende Lösungen eingebettet werden kann. Damit werden von uns die vielfältigen technischen Lösungen miteinander verbunden. „Social Video“ ist sehr grundlegend, einfach und transformativ. Es kombiniert und erweitert die Vorteile von synchroner und asynchroner Kommunikation. Wie kann man sich das vorstellen? Durch situierte Kommentare in Videos können Teams asynchron und somit effektiver zusammenarbeiten. In der kompetenzorientierten Bildung können Videos der Teilnehmenden aus ihrer Lebenswelt, sprich User Generated Content, in die Veranstaltung geholt und somit verschiedene Lernorte verbunden werden. Das schafft Transparenz, ermöglicht gezielt an der eigenen Reflexion zu arbeiten, sich gegenseitig Feedback zu geben und vieles mehr.
Mit dem „Social Video Hub“ wollen wir ein Produkt anbieten, das sehr niederschwellig und intuitiv zu bedienen ist. Vielleicht kann man es mit einem Messer vergleichen. Das Messer kann sehr viel, ist aber an sich ein relativ einfaches Werkzeug. Wenn man ein Video-Tool entwickelt, ist die Herausforderung das Spannungsfeld zwischen vielen Einsatzszenarien und vielen unterschiedlichen Erwartungen an so ein Produkt. Man muss das richtige Maß finden, wie man die wenigen Dinge auswählt und damit den richtigen Nerv trifft. Derzeit pilotieren wir unterschiedliche Szenarien, um herauszufinden, wie intuitiv unser Produkt ist und wie experimentierfreudig die Nutzenden damit umgehen. Wer Interesse daran hat, kann den „Social Video Hub“ in der Beta-Version gerne selbst ausprobieren. Auf www.social-video-hub.de findet man alle Informationen dazu.
Wir haben rund 20 Jahren Erfahrung mit „Social Video Learning“, insbesondere was das Lernen in Präsensveranstaltung verknüpft mit E-Learning-Angeboten, dem sogenannten Blended Learning, angeht. Darum wissen wir, dass sich das damit verbundene Potential besonders gut entfaltet, wenn Videoarbeit mit guten Aufgaben und Instruktionen verbunden ist. Aus diesem Grund kann der Hub an alle gängigen Lernmanagementsysteme angebunden werden.
Zu guter Letzt beschäftigt uns natürlich auch das Thema Künstliche Intelligenz, kurz gesagt KI. Von der Videoannotation begleitete Bildungsprozesse sind immer an Verstehens- und Verständigungsprozesse gebunden. Das ist anstrengend, aber dadurch findet Lernen statt. Künstliche Intelligenz hingegen tendiert dazu, dem Menschen Schwierigkeiten abzunehmen, zum Beispiel indem eine Software lange Texte zusammenfasst, Texte vorformuliert oder sogar Bilder erstellt. Das schafft Erleichterung, gleichzeitig ist dieses Zusammenfassen eine Art von Lernen und Aufbau einer Beziehung zum Inhalt des Textes. Ohne dieses aktive Tun bleibt nichts hängen. So betrachtet stehen Verstehen, beziehungsweise Bildung in einem Interessenskonflikt mit Künstlicher Intelligenz. Im Sinne der Bildung müssen wir also nach speziellen KI-Anwendungen suchen, die dem Bildungsprozess dienen, weil sie helfen, beispielsweise passende Schlagworte überhaupt zu vergeben und Videos durchsuchbar zu machen. Oder, indem sie dabei unterstützen, mit einem fremdsprachigen Kollegen überhaupt in einen Austausch zu treten. Entscheidend ist also dieses “überhaupt”. Im besten Falle schafft es die Künstliche Intelligenz, dass Chancen genutzt werden, die ohne sie ungenutzt blieben.
Veronika Christodoulides: Das ist eine schwierige Frage, weil man hier in einem größeren Zeitrahmen denken muss. Ich kann mich gut an ein Zitat des Projektteams von „Mein Bildungsraum“ erinnern. Es wurde folgende These aufgestellt: „Wenn Mein `Bildungsraum´ erst einmal da ist, werden wir uns gar nicht mehr vorstellen können, wie es ohne diese Vernetzungsinfrastruktur war.“ Ich denke, das ist eine sehr schöne Vorstellung. Ich glaube auch, es gibt gewisse minimale Erwartungen und dann ist natürlich die Bandbreite der Wünsche sehr groß. Minimal wäre für mich, dass es einen „Single-Sign-On“ und ein Dashboard gibt. Wie sich so ein großes Unterfangen wie „Mein Bildungsraum“ letztendlich am Markt behauptet, hängt sehr viel davon ab, ob es den Nutzenden einen Mehrwert bietet. Ob es einfach zu bedienen ist und – ich glaube – auch ob es Spaß macht.