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AVILAB2 im Interview

Unsere Fragen beantwortete Prof. Dr. Daniel Markgraf, Leiter des IDEA - Institute for Digital Expertise and Assessment sowie Prorektor für Forschung und Digitalisierung an der AKAD Hochschule Stuttgart.

Aktuell befinden sich rund 40 Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der zweijährigen Umsetzungsphase. Die Projekte entwickeln untereinander kompatible Lern- und Lehrangebote für das Ökosystem von “Mein Bildungsraum“ als Vernetzungsinfrastruktur für Bildung. Was sind ihre Ziele und welche Herausforderungen haben sie auf dem Weg dorthin zu bewältigen? Wir haben für Sie bei den Projekten nachgefragt.

Was ist der Mehrwert Ihres Projektes und was hebt Sie von anderen Projekten in dem Fachgebiet ab?

Prof. Dr. Daniel Markgraf: Egal ob Meetings, Vorlesungen oder Konferenzen: Die Kommunikation – und damit die Möglichkeiten sowie die Art und Weise der Zusammenarbeit – sind im Wandel. Auch im Bildungsbereich wird sich mehr und mehr in virtuellen Räumen ausgetauscht. Corona hat diesen Wandel beschleunigt. Inzwischen zeigt sich aber, dass der Trend bleibt und sich sogar verstärkt. Der Fokus wird zukünftig nicht nur auf den inzwischen „normalen“ Videokonferenzen liegen, sondern auch auf virtuellen Realitäten. Was heißt das?

Die Realitätswahrnehmung kann beispielsweise computergestützt erweitert werden, dann spricht man von der sogenannten Augmented Reality. Ebenso können scheinbare Wirklichkeiten mit ihren unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven virtuellen Umgebung dargestellt und wahrgenommen werden, hier spricht man von Virtual Reality. Dabei bieten sich Lernumgebungen in virtuellen Welten als Vorstufe zu einem digitalen Raum an, in dem virtuelle, erweiterte und physische Realität im sogenannte Metaverse zusammenkommen. Ziel ist es, dass die virtuelle Umgebung als real empfunden wird.

Mit dem Projekt AVILAB werden wir verschiedene mögliche Anwendungsszenarien für die Hochschullehre in einer virtuellen Welt umsetzen: Seminare, Kongresse, virtuelle Labore, digitale Zwillinge und Simulationen sind einige Beispiele. Dabei sind unsere Zielgruppen offen. Wirtschafts- und Sozialwissenschaften können unsere Lösung ebenso nutzen, wie beispielsweise Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften oder Geisteswissenschaften. In allen Anwendungsszenarien stehen dabei neben den Inhalten vor allem die Lernenden im Fokus. Sie sollen miteinander in Verbindung gebracht werden, um Austausch und soziale Interaktion zu fördern. 

Man kann sich das so vorstellen: Max studiert Biologie. Seit kurzem bietet seine Uni virtuelle Labore an. Noch im Bett und eine Tasse Kaffee neben sich, loggt er sich in die Veranstaltung an. Augenblicklich ist er mit seinem Avatar, der wie er eine Brille trägt und braune kurze Haare hat, im virtuellen Labor angekommen. Dargestellt wird nicht nur das Labor inklusive der notwendigen Laborausstattung selbst, sondern eine komplette räumliche Umgebung, in der Max sich bewegen kann. Tische und Stühle stehen ebenso im Raum wie eine Tafel und ein Whiteboard oder Poster mit Hinweisen zu Experimenten oder Grundlagen. Andere Studierende sind anwesend und im nächsten Raum lädt eine kleine Sitzecke zum Austausch ein. Seine Freundin Alex kommt gleich auf ihn zu und fängt eine Unterhaltung an. Ein paar Andere tauschen sich mit dem Professor aus. Das Besondere ist also: Obwohl man einzeln online ist, hat man das Empfinden, im virtuellen Raum in ein festes soziales Gefüge integriert zu sein. 

Seit wann gibt es das Projekt und wie haben Sie gestartet?

Prof. Dr. Daniel Markgraf: Die Idee für das Projekt entstand Ende 2020, als sich die Projektpartner über erste gemeinsame Szenarien und mögliche Vorteile, wie eine gesteigerte Immersion  in virtuellen Lernszenarien oder intensivere soziale Interaktion, austauschten. Im Rahmen der ersten Projektphase wurde zum einen die technische Machbarkeit nachgewiesen, zum anderen wurden im Rahmen verschiedener Seminare im Bereich Wirtschaftssimulation und Programmieren auch erste positive Erfahrungen und Feedbacks zu den angenommenen Vorteilen gesammelt.

Nun befinden wir uns in der zweite Phase. In einem Workshop zum Projektstart konnten wir mit unseren Partnern nicht nur Organisatorisches klären, sondern auch Ideen austauschen, Synergien feststellen, prototypische Anwendungen testen, neue Anwendungsszenarien identifizieren und darauf basierend gemeinsame Schritte abstimmen. An deren Umsetzung arbeiten wir nun. 

Derzeit geht es darum, welche Übergabeparameter zwischen der virtuellen Welt und verschiedenen Plattformen oder Lernmanagementsystemen standardisiert werden können und welche Daten für ein Ablage in einer individuellen Wallet (Ablage) interessant sein könnten. Wir werden die Möglichkeiten und Grenzen von sozialer Interaktion in virtuellen Welten im Bildungsbereich erfassen, Benutzerhandbücher für die unterschiedlichen Anwendungsbeispiele entwickeln und allgemeine Design-Prinzipien aufstellen. Dabei arbeiten wir mit unseren Partnern im Projekt aber auch den anderen Förderprojekten von „Mein Bildungsraum“ zusammen.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Projekt?

Prof. Dr. Daniel Markgraf: Viele Lehrende und Lernende stehen digitalen Ansätzen in der Lehre sehr offen gegenüber, denken und nutzen diese aber als würde sie ganz normal in Präsenz unterrichten. Digitale Ansätze brauchen jedoch neue Denk- und Herangehensweisen. Inhalte können anders dargestellt und erarbeitet werden, aber auch soziale Interaktion und Zusammenarbeit kann anders gedacht und angereizt werden – hier bieten virtuelle Welten neue Möglichkeiten im Vergleich zu Videokonferenztools wie Zoom und Teams. So können nicht nur Präsentationen im Podium oder in Breakout-Sessions gehalten werden – Teilnehmer können sich auch zwischen den Räumen bewegen und sich in den Zwischenräumen austauschen. Darüber hinaus kann beispielsweise auch individuell oder in Gruppen an digitalen Zwillingen gearbeitet oder verschiedene reale Szenarien zum Arbeiten simuliert werden.

Die Neugier für neue Medien und Möglichkeiten zu wecken und Lehre nicht nur digital durchzuführen, sondern komplett neu digital zu denken,  ist eine Herausforderung, die alle Projekte in dieser Förderlinie gemein haben. Wir wollen uns dabei auf die virtuellen Welten konzentrieren und stellen etwa fest, dass Zielgruppen außerhalb der technischen Fachbereiche und den Wirtschaftswissenschaften vielfach unterrepräsentiert sind. Dies wollen wir ändern. Zum einen, indem wir unterschiedliche Ansätze durch vielfältige Anwendungsszenarien, wie Labore, Kongresse und Vernetzungsveranstaltungen, aufzeigen. Zum anderen, in dem wir technische Barrieren für die Nutzung und Gestaltung virtueller Räume senken. Gemeinsam mit den Teilnehmenden identifizieren wir diese Barrieren – wie Hardwareanforderungen, Installation und die ersten Schritte in der virtuellen Welt. 

Was erwarten Sie von „Mein Bildungsraum“?

Prof. Dr. Daniel Markgraf: Grundlegend sollten Standards gesetzt und gut nachvollziehbar dokumentiert sein. Darüber hinaus wären übergeordnete Funktionen, wie zum Beispiel eine Such- und Filterfunktionen wichtig. Für uns wäre es spannend, wenn ein Single-Sign-On nicht nur aus Richtung der Plattform möglich ist, sondern auch in die andere Richtung, damit Institutionen mit vielen Teilnehmenden beziehungsweise Studierenden diese nicht alle zur Anmeldung an der Plattform auffordern müssen. Neben den bildungspolitischen Interessen sollten auch die Interessen privatwirtschaftlicher Anbieter berücksichtigt werden. Letztlich sei auch die Hoffnung geäußert, dass die Projekte nicht nur in die technische Weiterentwicklung, sondern auch in die allgemeine Ausrichtung der Bildungsplattform einbezogen werden.